Demon’s Diary 1 (2)

Staffelende (Fortsetzung)

Zufrieden spulte ich einige Minuten zurück.
„Kannst du noch ein Stück vorher starten“, hielt mich Mia an, „zu der Stelle vor den Zombies mit… dingens… wie hieß er doch gleich…“
Ein jähes Unbehagen beschlich mich, während ich ihrem Wunsch nachkam.
„Mia, ich denke, das gerade war keine so gute Idee“, äußerte ich meine sich konkretisierende Befürchtung.
„Was? Mit der Cola? Ich hätte aber schon langsam wieder Durst, so nach zwölf Stunden.“
„Nein, nicht die Cola.“ Ich runzelte Mrs. Gambolputtys quallige Stirn. „Dass du dem Kerl eben unsere Namen verraten hast.“
„Na und? Meinst du, er verwendet sie jetzt für zwielichtige Beschwörungsrituale?“
Ich erinnerte mich, dass Anmêlek vor unserem kleinen Ausflug etwas derartiges erwähnt hatte: Nie den Diesseitigen unsere wahren Namen nennen! – Übel und Verderben. Lästiger Papierkrams… irgendsowas.
Bevor ich den Gedanken vertiefen konnte, stürmte auch schon unser vermeintlicher neuer Freund in den Raum. Mit einem aufgeregtem „Weiche Dämon Cay! Verlasse diese arme Frau!“ spritzte er mir im nächsten Moment den Inhalt einer übermäßig geschüttelten Colaflasche entgegen.
„Was soll der Scheiß denn jetzt!“, echauffierte ich mich über die dösige Aktion.
„Hah! Dies ist geweihte Cola! Spüre die Macht des Herrn, Dämon Cay!“
„Nimmt man da nicht üblicherweise Wasser?“, blaffte ich zurück. Doch die unorthodoxe Variante des Paters schien tatsächlich eine Wirkung zu haben. Die ohnehin schon schwergewichtige Hülle von Mrs. Gambolputty wirkte plötzlich wie ein mit Blei gefüllter Betonpanzer. Aus wabbeligem, schwitzigem Beton… Auf jeden Fall reichlich unangenehm.
Es folgte ein erneutes triumphierendes „Weiche!“ kombiniert mit einem weiteren geweihten Cola-Schwall.
„Na schön, wenn du es unbedingt willst.“
Es gab mehrere Möglichkeiten, eine zuvor okkupierte Seele zu verlassen, wobei die Auswahl vor allem diverse Körperöffnungen betraf. Jede dieser Möglichkeiten besaß gleichsam verschiedene Vor- und Nachteile.
Ich verließ Mrs. Gambolputty schließlich durch den Mund. Mit der entweichenden dämonischen Energie zog dies allein die nachteilige Erscheinung eines kolossalen flammenden Rülpsers nach sich, bevor die grotesk aufgeblähte Gestalt meiner ehemaligen Gastgeberin wie ein beschädigter Heißluftballon in sich zusammensackte.
Geradeso schaffte es der eben noch so besserwisserisch tuende Pater, sich und seine Kutte vor dem infernalen Ausstoß in Sicherheit zu bringen. Nach diesem ersten Schock auf seinen vermeintlichen Teilerfolg hin sah er sich sogleich mit einer weiteren überraschenden Erkenntnis konfrontiert, die sich in erster Linie auf Äußerlichkeiten bezog.
„Aber… du… bist ja… eine… Dämonin?!“, stammelte er.
„Gut erkannt, Pater – Gratulation.“
Perplex wanderte sein Blick zwischen mir und der eingefallenen monströsen Hülle von Mrs. Gambolputty hin und her.
„Aber… aber… du siehst gar nicht aus… wie…“
„Hey, pass auf, was du sagst!“
Eine ehrfürchtig-angsterfüllte Begrüßung sah anders aus.
Es war doch immer das Gleiche mit diesen diesseitigen Stereotypen. Kaum war man kein pferdefüßiges Monster mit mindestens einer dentalen oder dermatologischen Abnormität wurde man nicht mehr ernst genommen. Als weibliche Vertreterin seiner dämonischen Spezies hatte man es doppelt schwer. Vor allem Männer rechneten meistens nur damit, dass man sie umgehend verführen wollte und rissen sich in vorauseilender Vorfreude schon halb die Sachen vom Leib.
Beleidigt streckte ich meine schwarzbefederten Schwingen in die Höhe, um meinem Auftritt die augenscheinlich fehlende Dramatik zu verleihen.
Jedoch mäßig erfolgreich.
„Schaust du mir gerade in den Ausschnitt?“
„Äh… ich… nein!“
„Meine Hörner sind jedenfalls weiter oben.“
„Also, wie ich das gesehen hab, war das ein In-den-Ausschnitt-starren par excellence“, bestätigte Mia meine Vermutung aus Perspektive des noch immer an der Decke klebenden Mr. Gambolputtys.
Pater Brightstone sollte ihr kurz darauf Gesellschaft leisten. Ich ließ ihn ein paar Mal umherschleudern – ähnliches hatten wir bereits ausgiebig an Ethel üben können – um ihn dann mit in alle Richtungen abstehenden Gliedmaßen neben die Pendelleuchte zu pinnen.
„Nein – bitte – warum?“, zeterte er quäkig aus der Höhe.
„Warum? Ist das nicht offensichtlich“, erwiderte ich forsch, „da hätten wir deine Verarschaktion mit der Cola, das Generve vorhin und nun das endgültige Vermasseln unseres lauschigen kleinen Serien-Sit-ins. Plus dem Ausschnitt-Gestarre.“
„Oh Gott! Bitte! Gnade! Nein!“
„Hörst du mir überhaupt zu?“
Die Deckensituation war wohl doch zu viel. Für die weitere Unterredung ließ ich ihn zwischen die Polsterüberreste und einige von Mrs. Gambolputtys Hautlappen zurück auf das Sofa plumpsen.
„Ob du mir zugehört hast?“, fuhr ich ihn an.
„Ja doch, ja!“, kam die zittrige Antwort aus der bizarren Sofakuhle. „Dann schaut eure komischen Serien halt weiter! Ich werde euch auch nicht mehr belästigen – versprochen!“
Ausgerechnet jetzt fing er mit solchen Zugeständnissen an! Einmal mehr zweifelte ich am Geistesverstand der Diesseitsbewohner.
„Nur, dass es sich jetzt leider bald erledigt haben wird mit dem ungestörten Fernsehkonsum!“, wies ich ihn abermals zurecht und zugleich mit erklärender Geste auf meine nunmehr entseelte Erscheinung. „Weil wir in unserer dämonischen Gestalt nämlich…“
„Cay?!“, schallte auch schon eine vertraute Stimme aus Richtung Fernseher.
„…sofort zu orten sind.“
„Na toll, der Chef – schätze das war’s jetzt mit Officer Rick“, hatte auch Mia selbige erkannt.
„Hah, Mia! Wusste ich’s doch, dass ihr da zusammen drin hängt.“
„Es war Cays Idee!“
„Gar nicht!“
Das Fernsehbild hatte indes von Zombies komplett auf ein verzerrtes Rauschen umgestaltet, das nun die Schallwellenprojektionen der ungehaltenen Stimme unseres Arbeitgebers wiedergab.
„Ich hab euch schon überall gesucht!“, gab dieser sich pikiert, „Reicht das nächste Mal gefälligst einen Urlaubsantrag ein!“
„Den genehmigst du doch sowieso nicht!“, konterte Mia, woraufhin der Fernseher die Erwiderung jenes so typischen dämonischen Lächelns fast schon übertrug.
„Immerhin haben wir hier eine Seele klar gemacht“, gab ich ferner zu bedenken.
„Ach ja?!“
„Und ob! Der Pater hier hat sich nämlich vorhin zu unserem freiwilligen Diener erklärt. Das dürfte für eine Non-Stop-Höllenfahrkarte doch ausreichen, oder?“
„Ich habe was?!“, schallte es hinter mir verzweifelt unter einer Hautfalte hervor, was wir jedoch geflissentlich ignorierten. Diskutieren konnte er die Angelegenheit mit dem Für und Wider seines schicksalhaften Angebots schließlich immer noch an dem Tag seiner Jenseitszuweisung. Also bald.
„Na schön“, erklang es derweil schon leicht resigniert aus dem Äther. „Immerhin konntet ihr in der Zwischenzeit hier kein Chaos verursachen.“
„Heißt das, wir können noch eine Weile im Diesseits bleiben?“ Voller Vorfreude schlüpfte nun auch Mia aus dem unglückseligen Mr. Gambolputty. Er landete kurz darauf auf dem noch immer zwischen Sofa und Mrs. Gambolputty gefangenen Pater.
„Nein!“, kam jedoch die ernüchternde Antwort zurück. „Und ihr wisst hoffentlich, dass das jetzt Überstunden bedeutet! Und zwar für die nächsten drei Dekaden! Wenn nicht sogar Lohnkürzungen, von Urlaub ganz zu schw…“
Mit einer kleinen Fontäne hochschlagender Funken und einem schrillen Kreischen von Ethel verstummten weitere Ausführungen zu designierten Strafmaßnahmen. Ferner ging das Licht aus. Am Ende war es ihr doch noch gelungen, die Stromzufuhr des Fernsehers mit einer wiederum schlecht isolierten Drahtschere zu unterbrechen. Keine Ahnung, ob es sie erwischt hatte – jedenfalls zuckte sie noch, als wir das Gambolputty’sche Wohnzimmer mitsamt angerichteter Sauerei und reichlich verstörtem Seelenhaufen in Richtung Garten verließen.
„Überstunden? Dass ich nicht lache!“ Mia streckte sich und schlug einige Male mit den Flügeln. Nach über zwölf Stunden mit verdrehtem Kopf in einem knochigen Diesseitsbewohner wie Mr. Gambolputty, hätte ich sicher mehr als ein rudimentäres Stretching nötig gehabt. Aber Mia war diesbezüglich hart im Nehmen.
„Vor allem kann ich mir vorstellen, wie diese ‚Überstunden‘ bei dir aussehen“, stieß sie mich feixend von der Seite an. „Ein paar Spezial-Meetings in der Chefetage und die Sache ist vermutlich gegessen.“
„Es muss schließlich auch Vorteile haben, die Freundin vom Boss zu sein“, erwiderte ich trocken und musste grinsen.
Sie schenkte mir einen kritischen Blick.
„Ein diesseitiges Streaming-Abo gehört nicht zufällig dazu?!“
„Ich besorg dir die DVD. Und nun komm – ich ruf uns ein Jenseitstaxi.“
Das Taxi fuhr ungefähr zur gleichen Zeit vor, in der der Garten samt marodem Gambolputty’schen Anwesen jäh hinter uns in die Luft flog. Anscheinend hatte es die ätzende grüne Sabberpfütze doch noch geschafft, sich durch die Kellerdecke zum darunter gelegenen Gastank durchzufressen.
Ein Weilchen betrachteten wir noch den daraufhin im Viertel entstehenden Ausnahmezustand.
Ich gähnte und ließ mich auf die Rückbank des Taxis fallen. Nunmehr dreiunddreißig Stunden visueller Dauerbefeuerung machten sich bemerkbar.
Mia warf einen letzten wehmütigen Blick aus dem Fenster auf das sich entfaltende Chaos.
„Ein bisschen wie bei The Walking Dead“, seufzte sie.
„Ja, ein bisschen“, lächelte ich zurück und schlief ein.

C. Holister (c) 2017

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