Eine kleine Auszeit später kommt hier dafür nun wieder etwas längeres aus der Demon’s Diary Reihe. Die Geschichte spielt ausnahmsweise mal nicht im Diesseits und verrückte Diesseitsbewohner gibt es auch nicht. Dafür pedantische Engel. Und einen Höllentrip. Viel Spaß beim Lesen!
Verhandlungssache
Wenn es etwas gab, das mich an den Ursprungsgedanken der Hölle als Ort der Hoffnungslosigkeit und endlosen Qual erinnerte, dann waren es Meetings.
Thema seit nunmehr zwei Stunden und einer gefühlten Ewigkeit war die Seelenverteilung im digitalen Zeitalter: Computerhacker – seelisches Himmels- oder Höllenmaterial? Fakenews auf Facebook posten – Sünde oder nicht? Blablabla…
Abgeschaltet hatte ich schon nach den ersten dreißig Minuten. In diesen hatten wir die Bewilligung neuer Seelengrubenfahrzeuge diskutiert, was nach langem Hin und Her von Ghabwiél abgelehnt worden war.
Entgegen aller schlagenden Argumente hatte der himmlische Verwaltungschef den Bedarf dafür nicht eingesehen. Es war schlimm genug, dass größere Anschaffungen unsererseits kostentechnisch über die lästigen Himmelsbürokraten abgewickelt werden mussten. Doch noch mehr als jenes pseudoeffizienzorientierte Getue der Engel hatte mich die Nachlässigkeit unseres CEOs genervt. Eigentlich war jener nie um irgendwelche Tricks verlegen, unsere höllischen Interessen aller Restriktionen zum Trotz durchzusetzen. Nur an diesem Tag schien er schlecht drauf zu sein.
Ich schaute abwechselnd zu ihm und den beiden Engeln hinüber. Die Zähigkeit des bisherigen Verhandlungsverlaufs stand allen ins Gesicht geschrieben. Mein Chef hatte die Finger vor sich zu einem spitzen Dreieck der Anspannung zusammengepresst. Seinen Kopf mit den ausladenden Hörnern teils erwartungsvoll, teils bedrohlich seinem Gesprächspartner zugeneigt. Ich wusste, dass er Ghabwiéls Gedanken las. Aber bei dieser Art Verhandlungen brachte ihm die Gabe wenige Vorteile. Engel logen nicht. Sie hatten keine geheimen verschlagenen Pläne. Sie waren todlangweilig.
Überhaupt wirkte Ghabwiél für den obersten aller Engel nicht sehr eindrucksvoll: Starre ätherische Gesichtszüge, überkorrekte Allerweltsfrisur, zurückhaltender weißer Anzug, dessen eingewebte Goldfäden im Kragen als Einziges seinen Sonderstatus kennzeichneten.
Sûnahyl links von mir, sein Adjutant oder so, sah fast genauso aus. Nur ohne die Goldfäden im Anzug, etwas kleiner und weniger ätherisch. Emsig überspielte er sein eigenes Unverständnis für die laufenden Besprechungen mit der Protokollierung unsinniger Gesprächsdetails.
‚Verfasser von Spam-Mails nach den letzten Verhandlungen eindeutig Hölle… Callcentermitarbeiter aber nicht… Was ist mit Erfindern irreführender Gewinnspielwerbung?…‘ Derartiges konnte ich seinem bisherigen Notizenwust entnehmen. Wahrscheinlich konnte er es gar nicht abwarten, das Ganze zurück in heimischen Gefilden fein säuberlich auf Verwaltungslatein abzutippen und in irgendeinem Hefter der Dokumentationsabteilung abzulegen.
Wie würde er wohl reagieren, wenn er erführe, dass die beiden Dämonen zu seinen Seiten die Stelle, auf der sein akribisch geführter Notizblock lag, den Abend zuvor noch als Unterbau für ziemlich hemmungslosen Sex verwendet hatten? Mal ganz abgesehen von dem Ledersessel, in dem Ghabwiél seit ihrer Ankunft bei uns seine steife Bürokratenpose zelebrierte…
„Ahem, Cay?!“, unternahm der Hauptprotagonist meiner abschweifenden Gedanken jäh den Versuch, mich wieder auf den Boden der eintönigen Tatsachen zurückzuholen.
„Ja, Chef?“ Ich sah ihn an. Unweigerlich kamen mir weitere Details der gestrigen Tischszene in den Sinn.
„Was denkst du…“ Erneutes Räuspern. Als wüsste er das nicht! „Ich meine, was hältst du von dem Vorschlag?“
Vorschlag? Mir war da wohl etwas entgangen.
„Äh ja, warum nicht“, überspielte ich meine situative Ahnungslosigkeit mit der erstbesten Phrase, die mir einfiel. Zwei überrascht dreinblickende Engel gaben daraufhin ein anerkennendes „Oh!“ von sich.
Die positive Reaktion sagte mir, dass ich gerade irgendwas versaut hatte.
„Ihre Assistentin ist offenbar überzeugter von der Ausgleichsmaßnahme als Ihr, Höllenfürst“, schwurbelte Ghabwiél und Sûnahyl protokollierte enthusiastisch. Mein Chef zog seine schwarzen Brauen hoch.
„Ist sie das?“
Anstatt die Gelegenheit zum sofortigen Widerruf zu nutzen, versuchte ich, mich mit Hilfe von Sûnahyls Notizen auf den aktuellen Gesprächsstand zu bringen.
Letzte Verhandlungsergebnisse fix… Blabla – Genehmigung durch… unverständliches Gekritzel – dafür Ausgleichsmaßnahmen laut Paragraf egal… las ich aus den Augenwinkeln. Bevor ich dazu kam, irgendetwas richtigzustellen, hellte sein Blick sich unvermittelt auf und er schenkte mir ein verheißungsvolles dämonisches Lächeln.
„Nun, wenn ich darüber nachdenke – vielleicht hat sie recht.“
Ersatzfläche zur Seelenunterbringung… himmlische Baumaßnahmen… bla, nicht wichtig – Platzfrage… abgegrenzter Bereich der unteren Kreise… Der unteren Kreise?! Bitte was? Ersatzfläche für die Himmelstrottel?! Doch nicht bei uns?!
„Aber ich denke, Sie sollten sich vorher selbst ein Bild von der Lage machen“, fuhr mein Chef unterdessen fort, „Speziell was die Eignung dieser potenziellen Ersatzfläche betrifft. Ich bin da ja etwas skeptisch.“
„Oh, ich kenne die unteren Kreise“, belehrte ihn Ghabwiél. „Besonders Kreis acht dürfte hier Möglichkeiten bieten.“
„Sie spielen auf die Gruben an. Nun, deren Zustand dürfte sich stark gewandelt haben, seit Sie diese zuletzt… besichtigt haben.“
„Mag sein. Meinetwegen. Sûnahyl, würden Sie eine Prüfung zum Zustand der avisierten Ersatzflächen in Kreis acht durchführen?!“
Die Anweisung schien den autoritätsgläubigen Engel aus dem Konzept zu bringen. Seine Schreibhand verkrampfte sich kurz und hinterließ einen unschönen Ausfallstrich im Protokoll.
„Äh, Sie meinen… vor Ort?!“, stammelte er.
„Natürlich vor Ort! Dort fixieren Sie alle Details und Anregungen für nötige Baumaßnahmen! Am besten jetzt gleich.“ Ghabwiéls Blick verriet, dass es hierzu nichts weiter zu argumentieren gab. Sûnahyl wirkte dafür plötzlich sehr blass. Zögernd erhob er sich von seinem Sessel.
„Wie komme ich denn… also, ich kenne mich hier ja nicht aus.“
„Oh, Cay wird Sie selbstverständlich begleiten“, polterte mein Chef in einen Anflug von Schadenfreude meinerseits.
Na toll! Den Guide für einen verängstigten Engel zu mimen, hatte mir gerade noch gefehlt. Andererseits war es eine nette Abwechslung zu dem elendigen Meeting. Und letztlich gab es auch in diesem Punkt nichts zu diskutieren.
Kommentarlos stand ich ebenfalls von meinem Sitz auf und warf ihm lediglich einen eindringlichen Blick zu, der folgende Kerngedanken einschloss:
a) War es wirklich nötig, mir für den kleinen Aufmerksamkeitspatzer gleich einen reinzuwürgen?
b) Hast du dir das mit diesen bescheuerten Ersatzflächen auch gut überlegt?
c) Lass dich von dem blasierten Engel nicht (noch mehr) über den Tisch ziehen!
d) Bleibt es bei heute Abend?
e) Ich hasse Meetings!
Ich erhielt ein weiteres Lächeln zurück und interpretierte es als übergreifendes ‚Ja!‘, bevor ich mit Sûnahyl aus dem Raum verschwand.
Durch das Portal im siebten Stock der höllischen Hauptverwaltung gelangten wir an den Rand des Kraters zu den untersten Höllenkreisen. Direkt daneben befand sich die Zuteilungsstelle, an der die Seelen ihrem ewigen Schicksal in Schmerz und Qualen entgegenblickten.
Gerade war jedoch Mittagspause.
Die Transportteufel, die ansonsten geschäftig die Seelenverteilung ausführten, saßen mit Schokoriegeln und Erfrischungsgetränk auf der Ebene vor der Zuteilungsgrube oder waren in die Stadt entfleucht.
Ein zitternder Sûnahyl folgte mir bedächtigen Schrittes in Richtung Grube.
„M-müssen wir nicht dort zum Krater?“
„Vorher brauchen wir noch einen Ausweis“, entgegnete ich mürrisch. „Vor allem du. Damit sie dich unten nicht versehentlich einkerkern oder sowas.“
„Oh.“ Er schluckte. „Ich hoffe nur, das dauert nicht zu lange.“
„Ach quatsch, der Boss hier hat immer ein paar Blankoausweise dabei. Sind ja schließlich nicht im Himmel, wo alles erst tausend Jahre beantragt werden muss.“
„Sie m-meinen, den Obersten Seelenzuteiler?! Sind Sie sicher, dass der m-mir sowas aushändigt?“
„Na klar, wieso nicht?“
„Man erzählt, es ist einer der fürchterlichsten, boshaftesten Dämonen überhaupt. Wie hieß er doch gleich? Min-Mi-Mi…“
„Nun lass mal das Mimimi und halt lieber mit Ausschau! Ach, da unten ist sie ja!“ Ich gab einen lauten Pfiff von mir, um die Aufmerksamkeit der rotflügeligen Dämonin im modischen Leder-Outfit auf uns zu lenken.
Fortsetzung folgt…
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