Demon’s Diary 3 (2)

Verhandlungssache – Fortsetzung

„Hey Mia“, winkte ich ihr zu.
„Hallo Cay!“ Sie flog direkt zu uns hinauf, nur um mir und meinem himmlischen Anhängsel sogleich einen konsternierten Blick entgegenzubringen. „Äh, und wer ist das?“
„S-sûnahyl“, erwiderte selbiger nicht weniger irritiert. „S-sie s-sind also…?!“
„Cay, was ist das hier? Irgendso’n Mitarbeiter-Austausch-Programm? Sag mir bitte nicht, die Zitterpappel da will hier’n Praktikum machen oder so.“
„Nein Mia, das nicht.“ Meine Miene verriet wohl einiges.
„Schlimmer?“
„Es g-geht um die I-Inspektion der E-Ersatzflächen als Ausgleichsmaßnahme für den fälschlich genehmigten Seelenzuschlag vom dreizehnten…“, wagte der Engel eine vorsichtige Erläuterung, wurde jedoch von einem harschem: „Häh? Versteh kein Wort von dem Bürokratenzeug“ von Mia unterbrochen.
„Der Chef hat bei den letzten Verhandlungen getrickst, die in der himmlischen Verwaltung haben es gemerkt und wollen jetzt im Gegenzug irgendwelche Gruben von uns besetzen“, ergänzte ich mein Verständnis der Situation. Dies lockte auch Sûnahyl wieder aus der Reserve.
„Nur für ein paar Äonen. Solange wir bei uns einige Umbaumaßnahmen durchführen.“
„Wird die Blumenwiese neu bepflanzt oder was? Und dafür wollt ihr eine von unseren Gruben kapern? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Höllenleitung so einer Scheißidee zustimmt!“
Ich drängte mich ein Stück zwischen Mia und den Engel, bevor sie ihn in ihrem sich anbahnenden Wutanfall rücklings in den Krater schmiss.
„Das hier ist die Hölle, verdammt!“, fluchte sie. Ich musste ihr leider die unangenehme Wahrheit mitteilen.
„Der Chef hat die Angelegenheit schon abgenickt.“
„Was? Wohl nicht richtig ausgeschlafen der Gute!“ Ein vorwurfsvoller Blick ging in meine Richtung. „Wurden wenigstens die neuen Fahrzeuge genehmigt?“
Verhaltenes Kopfschütteln von Sûnahyl und mir. Der Engel sah aus, als würde er im nächsten Moment ohnmächtig werden.
„Was tut ihr eigentlich den ganzen Tag bei diesen beschissenen Verhandlungen? Da können wir dem Himmel ja gleich den kompletten Betrieb hier übergeben…“
„Reg dich ab, Mia“, versuchte ich mein Glück in Sachen Beschwichtigung. „Es ist nicht zu ändern. Außer Sûnahyl hier befindet die Situation vor Ort als ungeeignet. Nicht wahr, Sûnahyl?“
„Äh ich, äh ich, ähhh…“
Mia rollte mit den Augen. Aus einem Täschchen an ihrem Gürtel holte sie eine Metallflasche hervor, nahm einen Schluck und wirkte sogleich deutlich ruhiger.
„Na schön. Dann schauen wir uns die ‚Situation vor Ort‘ mal an. Hier…“ Sie streckte dem Engel die Flasche entgegen. „Bevor du uns abklappst.“
„Ich… ich schaff das schon“, riss dieser sich endlich zusammen und rückte seinen Notizblock unter seinem Arm zurecht. Mit den Worten: „Wenn du meinst“ genehmigte sie sich dafür noch einen weiteren Zug und schritt an uns vorbei in Richtung Parkplätze.
„Äh… fliegen wir nicht in den Krater?“, kam der vorsichtige Einwand von Sûnahyl.
„Wir haben da dieses Abgasproblem – die Sicht ist einfach zu schlecht. Und ich möchte ja nicht, dass du uns abstürzt.“
Bestätigendes Schlucken.
„Deshalb nehmen wir einen der Transporter“, fuhr Mia beschwingt fort, während sie auf eine Reihe parkender Wagen zusteuerte. „Der hier sieht doch ganz ok aus.“
Relativ betrachtet stimmte ihre Einschätzung. Ausgehend von der Menge an Dellen, antiproportional zu der Anzahl funktionstüchtig wirkender Einzelteile zählte der Transporter tatsächlich zu den besser aussehenden. Absolut betrachtet war er eine Schrottkiste.
Wir stiegen ein und verteilten uns auf den Sitzen. Mia rückte zum Lenkrad durch, da die Fahrertür klemmte. Ich platzierte mich daneben. Sûnahyl nahm auf dem zerschlissenen Rücksitz hinter uns Platz.
„Schnallt euch besser an!“
Mia war sonst alles andere als eine Sicherheitsfanatikerin. Wenn man die Straßen in den Krater kannte, war der Hinweis jedoch eine wichtige Voraussetzung, um im Anschluss an die Fahrt noch sämtliche Gliedmaßen an den richtigen Stellen zu haben.
Wir starteten nach diversen Anlassversuchen und einem bedenklichen Gerössel aus der Motorgegend in Richtung des Hauptabstiegs.
„Ich glau-be, ich weiß jetzt, wa-rum Sie neu-e Trans-port-fahr-zeu-ge be-antragt ha-ben“, kam kleinlaut von dem Engel hinter uns, der noch immer mit seinem Sicherheitsgurt beschäftigt war.
Die ersten hundert Meter auf der maroden und ungesicherten Straße, die spiralförmig entlang der Kraterwand zu den unteren Kreisen führte, glichen einem Ritt auf einer kaputten Waschmaschine. Wirklich unangenehm wurde das Ruckeln aber erst auf Höhe der Abfahrt nach Kreis sieben.
„Mei-hein Gu-hurt ra-hastet nicht ein!“, schallte es panisch von hinten. Darauf folgten ein kurzes Röcheln und ein dumpfer Schlag an die Decke. Dann an die Seite. Und ans Heck.
Ausgerechnet, als sich die Straße unnötigerweise noch verengte, schleuderte es den Engel gegen die Frontscheibe und Mia ins Lenkrad. Sofort riss sie es zurück in die Ausgangsposition und trat auf die Bremse, nur um festzustellen, dass diese im Laufe der Fahrt stark nachgelassen hatte.
„Schätze, dann nehmen wir wohl die Abkürzung“, seufzte sie, als auch die beiden Hinterräder die offizielle Fahrbahn verließen.
Der Transporter prallte an einigen Felsvorsprüngen ab, bevor er seitwärts am Kraterrand hinunterschlitterte. Zumindest hatte das Gewackel aufgehört.
„Na toll“, übertönte ich die Geräusche von kratzendem Fels auf Karosserie, „müssen wir jetzt von Kreis neun wieder hochfliegen?“
„Nee, wir haben seit neustem diese Abfangvorrichtungen.“
„Muss sich ja lohnen, was?“
Mia brauchte nicht antworten und tat es auch nicht. Sie griff nach Sûnahyl, der gerade bewusstlos war und in den Laderaum abzugleiten drohte.
Ein unsanfter Rückstoß deutete an, dass wir Kreis acht endlich erreicht hatten. Der Wagen landete auf der ohnehin schon defekten Fahrertür und wir kletterten über die andere Seite nach draußen. Ich zog den Engel am Kragen hinter mir her und platzierte ihn an einem Felsvorsprung.
Der Gute sah wirklich etwas wüst aus: Mehrere Beulen an seinem Kopf schwollen nur langsam ab, der makellose weiße Anzug sah mittlerweile eher nach Lumpensammlung aus und seine Flügel hatten einiges an Federn gelassen.
„Hey Sûnahyl!“, unternahm ich einen Reaktivierungsversuch. „Du hast es überstanden! Kannst jetzt mit deiner Inspektion starten.“
Ein paar Wangenklatscher und er blinzelte mich aus blassblauen Engelsaugen an, schloss sie jedoch gleich wieder.
„Wsss…ihr seid ja vllg irre“, drang eine brüchige Stimme zu mir vor. „Dsss…ist Misshndlung …nes himmlischn Gsandten!“
„Ach komm schon, Sûnahyl – was können wir denn dafür, wenn du dich nicht vernünftig anschnallen kannst?“
„Dss…ist ja whl…“
„Hier, ich hab dir auch deinen Block mitgebracht.“
In der Tat hatte ich die Überreste des Schreibblocks, der in meinem Fußraum gelandet war, irgendwann eingesammelt. So behutsam es ging, klemmte ich das Papierknäuel unter seine Armbeuge.
„Gnnnhh.“
„Mia, wir brauchen mal etwas Medizin hier!“, bemerkte ich ob unseres lädierten und vor sich hin wimmernden himmlischen Gasts.
Sie telefonierte gerade. Wortlos reichte sie mir ihre Metallflasche und ich hielt sie Sûnahyl an die Lippen.
„Hier, danach geht’s dir besser.“
Er nahm einen tiefen Zug und begann zu husten.
„Große Güte, was ist das?“
„Hochprozentiger Espresso, wenn ich mich nicht irre. Das sollte zumindest deine Nerven beruhigen, bis du dich wieder regeneriert hast.“
Starre Engelsaugen musterten mich und die Flasche. Dann ein weiterer Schluck, erneutes Röcheln und Sûnahyl richtete sich langsam auf.
„So, wir können los“, hatte auch Mia ihr Gespräch beendet. „Um den Wagen kümmern sich zwei meiner Leute.“

Wir zogen los. Mia voran und ich mit dem wankenden Sûnahyl hinterher. Mit der linken Hand hielt er nach wie vor die Flasche umklammert. Die Rechte krampfte sich derweil um den Notizblock.
Wir passierten unter anderem die Giftgasgräben in Grube neun, die Flammengrube, die Feinstaubgrube sowie das Abwassersystem. Der Engel musterte die jeweiligen Szenarien, verzog meistens angewidert oder entsetzt das Gesicht und trabte schnellen Schrittes weiter. Trotz des beißenden Gestanks, der versmogten Luft und der glühenden Hitze hielt er sich wacker. Tapfer unterdrückte er Brechreiz und Hustenanfälle wie vermutlich auch die ein oder andere kritische Bemerkung zur modernen Umsetzung der klassischen Höllenstrafen.
„Sind alle Gruben so… äh, extrem?“, konnte er sich schließlich doch nicht verkneifen.
„Extreme Sünden, extreme Strafen“, war Mias kurz angebundene Antwort.
„Nach euren ganzen tollen Verhandlungen bekommen wir ja nur noch die Härtefälle“, fügte ich hinzu, „ansonsten hätten wir das Seelenkapital für größere Neuanschaffungen sicherlich auch selbst.“
„Aber demnach müssten dann ja einige Gruben etwas, naja, dünner besiedelt sein“, überspielte Sûnahyl meinen impliziten Vorwurf.
Das Pflichtbewusstsein des Engels war mir unbegreiflich. Selbst nach einem Höllentrip wie diesem hielt er an der bescheuerten Idee mit den Ersatzflächen fest.
„Höchstens Grube eins“, merkte Mia an, „das sind die Verführer. Da haben wir eigentlich nur noch Restbestände von früher. Die könnte man auch zu den Betrügern in Grube drei packen.“
„Dann könnten wir uns die ja mal…“ Ein erneuter Hustenanfall schnitt ihm das Wort ab. Wir waren im innersten Kreis fast einmal rum und hier zog die Mischung aus Abgaswolke und Giftgas besonders stark herüber. Ein Schluck aus der Flasche half und der Engel taumelte weiter neben mir her.
„So, da wären wir. Ist ja echt nicht viel los hier vorne.“ Mia sah sich in der Grube um. Diese wirkte geräumig, wenn auch nach hinten recht verwinkelt. Ein stetiges Surren lag in der Luft. Gepaart mit dem Knistern kleiner, züngelnder Blitze, die hier und da an Boden und Wänden auftauchten.
„Hast du auch deine guten Gummisandalen an, Sûnny?“
Der Engel blieb ihr die Antwort schuldig. Stattdessen zuckte er schlagartig zusammen und stieß einen spitzen Schrei aus.
„Argh! S-sind d-das etwa offene Stromkabel?“
„Aber sicher doch“, bestätigte Mia. „Für die Verführer und so.“
„S-sollten die nicht einfach ausgepeitscht werden?“
„Peitschen – Stromkabel – passt doch genausogut! Und was glaubst du, wie viel Personal man bräuchte, um hier jedem eine Einzelbehandlung zu geben?!“
„Hwssss!“
„Ach, einfach ein paar himmlische Lüsterklemmen drüber, dann geht das schon, oder Mia?!“
„Naja, eventuell auch noch ein paar Meter Isolierband.“
„Dann verlegt ihr hier ein bisschen Rollrasen, Wolkentapeten, Duftkerzen…“
„Gut beheizt ist es ja.“
„…sanfte Musik, Kabelanschluss…“
Sûnahyl wirkte unserer Kooperationsbereitschaft zum Trotz unaufmerksam. Vielleicht lag es an dem steigenden Koffeinpegel. Oder den giftigen Gasen. Oder den permanenten Begegnungen seiner unbeschuhten Engelsfüße mit den offenen Kabelenden. Genau ließ es sich nicht sagen.
Nach einem weiteren Zusammentreffen mit der höllischen Stromversorgung machte er einen Satz und hüpfte dabei fast in meine Arme.
„Wirst du jetzt anhänglich?“, bemerkte ich spöttisch, was aber nur einen erneuten Annäherungsversuch nach sich zog.
„Oh, bitte… diese verf… diese unseligen Kabel. Könnten Sie mich nicht, ich meine…“
„Tragen?“, vervollständigte ich.
„Womöglich noch auf Händen?“ Mia sah ihn anklagend an.
„Ist ja gut, ich hab es verstanden!“, stöhnte er auf. „Es ist eine schwachsinnige Idee. Ich werde es vermerken! Aber bitte ersparen Sie mir weitere Qualen, bitte!“
„Na schön.“ Ich grinste zufrieden und drehte ihm meinen Rücken zu. „Spring auf!“
Er überlegte nicht zweimal und wickelte sich von hinten um meinen Hals. Nun blieb nur noch zu wünschen, dass nicht irgendwelche Kollegen von uns vorbeikamen, die unser bizarres Gespann begutachteten. Die spöttischen Bemerkungen hätte ich mir sonst noch die nächsten Dekaden anhören können.
Entsprechend war am Ende von Grube eins Schluss mit der Huckepackaktion. Der Engel glitt von meinem Rücken. Seine Augen waren erfüllt von einer Mischung aus Benommenheit und Dankbarkeit. Vermutlich hätte er mich am liebsten umarmt.
„Meinen ergebensten…“
„Schon gut“, wehrte ich den Vorstoß ab, „Hauptsache, du bist wieder halbwegs fit für die Rückfahrt.“
Nur einige Meter weiter erreichten wir unseren Startpunkt beim Wagen. Er stand inzwischen aufrecht. Die größten Macken im Blech waren einigermaßen ausgedellt. Sogar einen Satz neuer Reifen hatte Mias Handwerkercrew aufgezogen.
„Es wäre gut, wenn sie diesmal auch nach den Bremsen geschaut hätten“, bemerkte Mia und rüttelte an der Fahrertür. Zu ihrer Verwunderung sprang diese auf. Dafür fehlte die Beifahrertür. Für einen Ersatz war wohl keine Zeit mehr gewesen.
„Ihr wollt doch nicht ernsthaft schon wieder mit dieser Kiste fahren?“, zeterte Sûnahyl.
„Siehst du hier eine andere?“
Mia stieg bereits auf ihren Sitz.
„Ich steige da ganz bestimmt nicht noch mal ein!“
„Willst du hier warten? Könnte natürlich etwas dauern, bis wir wieder zurück sind.“
„Oder willst du fliegen?“, ergänzte ich und deutete mit dem Kopf in Richtung Krateröffnung. Gelbliche Nebelschwaden waberten dort durch eine Suppe aus staubiggrauem Dunst.
„Oh Grundgütiger!“ Er kramte nach der Flasche. „Aber ich sitze diesmal vorne!“
„Meinetwegen.“

 

C. Holister (c) 2017

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