Demon’s Diary 4 (2)

Begleitservice (Fortsetzung I)

Eine komfortable und weitgehend friedliche Fahrt später war es vor allem ein aufgeregt winselnder und sich permanent im Kreis drehender Kerberos, der uns aus unserem transdimensionalen Nickerchen riss.
Mit müden Augen blickte ich aus dem Fenster. Wir hielten vor dem Eingang eines palastartigen Gebäudes, dessen helle Sandsteinfassade größtenteils von dunklen Rußablagerungen überzogen wurde. Eine Reihe uniformierter und maschinengewehrbestückter Wachen patrouillierten dort mit versteinerten Gesichtern auf und ab. Den erweiterten Sicherheitsbereich mit umgebender Mauer, Stacheldraht, Selbstschussanlagen und was weiß ich noch, hatte unser Taxi bei seiner diesseitigen Ankunft selbstmächtig übergangen. Klischeehafter hätte die Residenz eines dubiosen Staatsoberhaupts kaum sein können.
„Ich denke, ich sollte ihn wirklich mal rauslassen“, bemerkte Mia mit besorgtem Blick in Richtung Kofferraum.
„Na gut, aber lass ihn an der Leine! Bevor er hier das halbe Gelände umgräbt.“
„Ja, ja.“ Sie kramte das armdicke Tau aus den Tiefen ihrer Ledertasche und machte sich auf den Weg um den Wagen herum, um Kerberos aus seiner engen Transportbehausung zu befreien. Ich stieg ebenfalls aus, strich meinen Blazer glatt und nutzte den Moment der Ruhe für eine genauere Sichtung der Unterlagen.
Der Vertrag umfasste mehrere Klauseln, dass sämtliche schwerwiegende Folgen dämonischer Hilfeleistungen – sei es Mord, Umweltverschmutzung, Verrat oder Schlimmeres – dem Sündenkonto des Klienten zuzuschreiben waren. Und die Akte bestätigte Vorfälle in jedem dieser Punkte. Im Prinzip war alles klar. Etwas anderes als der tiefste aller Höllenkreise ließ sich hier, selbst bei noch so geschickter Argumentationsfähigkeit, kaum aushandeln.
Seufzend blickte ich in die Ferne, wo einige verdorrte Palmen Mias und Kerberos‘ bisherige Route um das Anwesen markierten.
‚Verdammt, ich hätte auch einfach alleine fahren können!‘, ging es mir durch den Kopf. ‚Wer weiß, welches Chaos die beiden jetzt bei diesem Auftrag anrichten werden?!‘
Ein freudiges mehrstimmiges Bellen deutete an, dass die Gassirunde beendet war. Auf dem Weg hinter ihnen kippte just eine schwarze Palme um, während grünlicher, stinkender Rauch aus sporadisch angeordneten Schlaglöchern emporstieg.
„In den Palast nimmst du ihn aber nicht mit!“, wies ich Mia vorsichtshalber an.
„Nein, nein.“ Sie öffnete die Kofferraumklappe, woraufhin ihr ein harsches „Denk nicht mal dran!“ aus der Fahrerkabine entgegenschallte.
„Na schön, hier im Freien dürfte es ihm eh besser gefallen.“ Ihr Blick fiel auf die Säulen vor dem Haupteingang. Wir schritten die marmornen Stufen hinauf und sie entschied sich für eines der seitlich liegenden Exemplare.
Nervös scannte ich den Eingang, während sie ihren Knoten im Tau perfektionierte.
„Hast du’s endlich?“
„Dass ausgerechnet du so hetzen musst?! So Kerbi, mach schön Sitz und sei brav! Bin gleich wieder da.“
Normalerweise war Mia die Ungeduldige von uns beiden. Diesmal jedoch war ich es, die den lästigen Auftrag möglichst schnell hinter sich bringen wollte. Etwas beunruhigte mich, ohne dass ich es näher benennen konnte.
Ich griff in meine Hosentasche und holte eine Packung Kokainkaugummis hervor, die ich bei wichtigen Auftritten immer dabei hatte. Für frischen Atem und gegen Reiseübelkeit. Wie zur Abwehr der aufkommenden Paranoia schob ich eines in den Mund. Also: einfach reingehen, ein paar Höflichkeiten austauschen und den selbsternannten Imperator zu seinem ewigen Schicksal geleiten. Alles kein Problem.
Wir teleportierten uns hinein und schritten durch das weitläufige Innere des Regierungsgebäudes. In Sachen unnötig protziger Grundausstattung hatte sein Hausherr wirklich ganze Arbeit geleistet. Auf kein noch so megalomanisches Gemälde, keinen goldgefassten Beistelltisch oder juwelenbesetzten Kronleuchter war an diesem Ort verzichtet worden.
Einige begrenzende Decken und Wände ignorierend landeten wir irgendwann vor einer schweren, lederbeschlagenen Flügeltür. Ich nickte Mia zu und spuckte das Kaugummi in eine goldberandete Vase. Also dann.

Der gigantische, langgestreckte Raum, in dem wir zum Vorschein kamen, war nicht minder pompös ausgestattet als der Rest des Palasts. Holzvertäfelung, glitzernde Objekte und Kuriositäten in jeder Ecke. Ein vermutlich unnötig wertvoller achteckiger Seidenteppich in der Mitte des Saales vor einem Mahagonischreibtisch.
Der Diktator saß mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen in seinem gepolsterten Schreibtischstuhl dahinter. Schweres Atmen war zu hören. Fast, als würde er schlafen.
Ich spreizte die Flügel. Das schemenhafte Aufflackern meines Spiegelbilds in der Fensterscheibe hinter ihm verriet derweil meine physische Manifestation in dieser Welt.
„Ich weiß, dass Sie uns wahrgenommen haben“, begann ich mit einer entlarvenden Ansprache. „Und ich bin mir sicher, dass Sie wissen, weshalb wir hier sind.“ Ich trat an ihn heran und bemühte mich dabei, einen Bogen um den Teppich zu machen. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, das kunstvolle Objekt mit Füßen zu treten. Mia hatte da offenbar weniger Bedenken.
Der Tyrann stieß einen tiefen Seufzer aus. Er schien die Dramaturgie dieses Auftritts lange geübt zu haben. Sein von Altersflecken und Narben übersätes Gesicht hatte sich zu einer einzigen Sorgenfalte verzogen. Eingefallene Schultern richteten sich nur zögerlich auf, während zitternde Hände bedächtig die dekorierte Schirmmütze zurechtrückten.
Ein registrierender Blick auf Mia und mich ließ ihn jedoch in seinem wohlchoreografierten Ablauf stocken.
„Aber…“, stammelte er, „Sie sind nicht diejenigen, mit denen…“
„…der Vertrag ausgehandelt wurde?!“, vervollständigte ich. „Nun, ich sehe keinen Grund, warum das ein Problem darstellen sollte.“
„Außerdem sind wir ja wohl der charmantere Begleitservice“, ergänzte Mia frech.
Konsterniertes Schweigen.
„Ich würde nur gerne mit meinem ehemaligen Verhandlungspartner sprechen“, kam nach einer Weile die eigenwillige Forderung.
„Nun, inzwischen haben sich die Machtverhältnisse in unserer Sphäre geändert“, hob ich zu einer näheren Erläuterung an. „Vielleicht freut es Sie zu hören, dass Ihr Verhandlungspartner von damals, sich nun in leitender Position bei uns befindet.“
„Und als solches ist er natürlich viel zu beschäftigt, um mal eben selbst irgendwelche Diesseitstrips abzuarbeiten“, fügte Mia hinzu, nicht ohne einen ironischen Unterton in der Stimme.
„Aber ich hätte ihm, also, Ihrem Chef so gerne jemanden vorgestellt.“
Mia verschränkte die Arme. „Wir sind hier nicht auf ’ner Cocktailparty.“
„Es handelt sich aber um einen möglichen Auftraggeber für ein weiteres Abkommen…“
Das kam in der Tat unerwartet. Doch ich zögerte.
„Alles zu seiner Zeit“, entgegnete ich beherrscht. „Zunächst einmal gilt es, unser Abkommen einzulösen.“ Demonstrativ legte ich die silbrige Akte auf seinem Schreibtisch ab.
„Ich dachte nur, wenn ich Ihnen als Vermittler zur Verfügung stünde…“
„Vermittler oder nicht – der Vertrag mit sämtlichen Statuten ist bindend“, intervenierte Mia sofort. „Und die dort aufgeführte Höllenstrafe im Übrigen auch, wenn ich Ihnen das als Oberste Seelenzuteilerin so sagen darf.“
Eine innere Unruhe machte sich in mir breit. Ich wünschte mir nur, sie würde endlich von dem verdammten Teppich runterkommen.
„Und als Oberste Seelenzuteilerin dürfen Sie auch den Vertrag vollstrecken?“
„Sie nicht, aber ich. Als Stellvertreterin der Höllenleitung.“
„Oh…“ Die unruhigen Augen des Despoten huschten durch den Raum. Er schien zu überlegen. Sein faltiges Gesicht zeichnete dabei nicht gerade einen Ausdruck, der von echter Intelligenz geprägt war. Eher Bauernschläue.
„Nun gut.“ Er warf einen Blick auf die Mappe, ohne diese näher zu konsultieren.
„Dann werden Sie uns nun begleiten?“, erhob ich drohend die Stimme.
„Das werde ich.“ Sein manierierter Gesichtsausdruck verriet indes, dass er zur Einlösung des Versprechens noch nicht ganz bereit war. „Dennoch möchte ich Sie um einen kurzen Empfang bitten! Jene Person wäre wirklich überaus erfreut, Sie kennenzulernen.“
„Ach, besitzen wir am Ende doch eine adäquate Ranghöhe für Ihren mysteriösen Kontakt?“, konnte ich mir die spöttische Bemerkung nicht verkneifen.
„Meine Damen, bitte verzeihen Sie mir die Unhöflichkeit! Natürlich hätte mir klar sein sollen, dass nur hochrangige Vertreter ihrer, äh, Sphäre einen solchen Vertrag vollstrecken. Ich bin absolut untröstlich…“
„Ist ja gut, dann schick deinen Buddy halt rein.“ Mia rollte mit den Augen.
„Ok, kurz“, stimmte ich ein und der Diktator lächelte. Er betätigte einen Knopf auf seinem Schreibtisch und in der mutmaßlich durchgehenden Wandvertäfelung öffnete sich eine Tür.
Hinter ihr hervor schritt ein dürres Männlein. Ohne seine in feierlichem Schwarz glänzende, bodentiefe Robe, hätte man es glatt für eines jener knorrigen Gewächse halten können, welche die trostlose Ebene vor dem Höllentor überwucherten. Sein Kopf wirkte kaum menschlich. Zerknittert und fahl. Fast zu fragil, als jenen überdimensionierten roten Fez wirklich tragen zu können.
„Mein erster Minister und oberster Berater“, stellte der Diktator die spillerige Gestalt vor. „Fjordor, das sind die Oberste Seelenzuteilerin und die stellvertretende Höllenleitung.“
Aufmerksam musterte der Blick des Männleins die Szene aus uniformiertem Despot, Dämonin im Business-Outfit und ihrer leger gekleideten Begleiterin.
„Hochrangige Dämonen – tatsächlich!“ Euphorisch schritt er auf mich zu. „Freut mich außerordentlich!“ Schon hatte seine behandschuhte Rechte meine Hand ergriffen, um sie nicht weniger enthusiastisch zu schütteln. Er rückte mir dabei so unangenehm auf die Pelle, dass ich unweigerlich neben Mia auf den Teppich zurückwich. Sofortiges Unbehagen erfasste mich.
„Wir werden sehen, wie sich ihre Freude entwickeln wird, Herr Minister…“, erwiderte ich forsch. Jener grinste breit.
„Sator Arepo“, ergänzte er freudestrahlend.
„Sator Arepo?“, wiederholte Mia von der Seite. „Is das’n Titel oder ’n Name?“
„Tenet.“
„Bitte was?“ Endlich schaffte ich es, meine Hand aus seinem überschwänglichen Griff zu ziehen. Anzügliches Grinsen nach wie vor.
„Opera Rotas“, erklärte er stolz.
„Bist du da auch noch Direktor oder was?“ Mia zog genervt die Brauen hoch. Ich tippte eher auf exzentrischen Impresario.
„So, genug jetzt mit den Höflichkeiten!“, wandte ich mich wieder unserem Klienten zu. „Eventuelle Neuverhandlungen sind vertagt. Sagen Sie Herrn… Arepo Lebewohl und folgen Sie uns bitte nach draußen!“

Fortsetzung folgt…

C. C. Holister (c) 2017

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